Homepage Foto Buchbesprechg Schreiber 2020
In Fenster meines Lieblingsbuchladens lag das Buch am Frauentag im Schaufenster. Von Carola Spitz (später Speads) hatte ich schon gehört, aber ihre Biografie war neu für mich. Als Tochter aus wohlhabendem jüdischen Hause in Berlin entschied sich die 1901 geborene gegen einen Studienabschluss, und für eine Gymnastikausbildung.

Sie lernte Elsa Gindler kennen und wurde ihre Mitarbeiterin. Die Gymnastikbewegung des jungen Jahrhunderts war vor allem von Frauen entwickelt worden, die das richtige Atmen und das bewusste Spüren des Körpers als weibliche Körperpraktiken verstanden und sich gegen den männlich dominierten Sport wandten.

Der Autor beschreibt vorsichtig und genau, wie sich aber auch manche Strömungen der Lebensreformbewegung mit den Nazis verbanden, die Gymnastik als rassische Ertüchtigung verstanden. Carola Spitz war wohl kein politischer Mensch, er beschreibt sie als „elitär, eskapistisch und konsequent unpolitisch“. Sie durfte nach 1933 keine nicht-jüdischen Schülerinnen mehr unterrichten, und schaffte es gerade noch, mit ihrem begüterten Ehemann und Zigarettenfabrikant über Frankreich nach New York zu emigrieren.

Dort führte sie am Central Park ihr „Studio für körperliche Umerziehung“ und bewahrte dort ihre Atem-Arbeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Die Achtsamkeit, die in den frühen Berliner Jahren noch subversiv und feministisch war, diskutiert Christoph Ribbat als heute in Verruf geratenes Element des Neoliberalismus zur Stressregulation.

Das Leben von Carola Spitz ist ein Beispiel für die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts zwischen großen Privilegien und völliger Entrechtung und auch eine Geschichte des Verschweigens. Sie habe nie darüber gesprochen, dass ihre Mutter und ihr Bruder in Auschwitz umgebracht worden sind. Aber Carola Spitz hat es auch geschafft, 1937 durch beherztes Auftreten ihren Mann aus der Haft in Berlin zu befreien.

Sie war Kollegin und Konkurrentin von Charlotte Selvers, ebenfalls aus der Gindler-Schule nach New York geflohen, die Anschluss an die amerikanische New Age Bewegung fand, auch am Esalen-Institut in Kalifornien unterrichtete und ihre Methode „sensory awareness“ nannte und weiterentwickelte. Das Buch von Carola Speads „Atmen“ von 1983 ist nur noch antiquarisch erhältlich.

Die Biografie von Christoph Ribbat ist für KBTler*innen unbedingt lesenswert. Sie zeigt uns liebevoll und kritisch etwas von den Wurzeln unserer Methode auf. Und sie macht in Zeiten von Corona nachdenklich, ob in der KBT-Stunde die Zentrierung auf Atem und Körperwahrnehmung ein Ausweg sein kann, wenn Kontakt und Nähe aus gesundheitlichen Gründen zurzeit nicht sein darf.

Karin Schreiber-Willnow 19.3.2020